Sommer

Reinhard Mey

.Wenn das Licht durch das raschelnde Blätterzelt

in leuchtenden Tupfern ins hohe Gras fällt,

tanzen im Spiel von Dunkel und von HelligkeitBilder einer lang vergangenen Zeit.Ich seh' Girlanden wehen und Mädchen sich drehen,ich hör das Akkordeon und sehe sieim Reigen sich wiegen, die Röcke, die fliegenzum Klang einer altmodischen Melodie.



2. Ein paar Gartenstühle, zigmal schon lackiert,

ein wackliger Tisch, Wachstuch rotweiß kariert,

kleine grüne äpfel am weißen Spalier

und gläserne Krüge mit schäumendem Bier.Die Männer spiel'n Karten im schattigen Garten,das Taschentuch links, das Blatt rechts in der Hand.Die Frau'n lesen Beeren und füllen und leerenEmailleschüsseln mit angeschlagenem Rand.



3. Wir Kinder war'n baden am Feuerwehrteich,

barfuß, halbnackt, und jetzt hol'n sie uns gleich

zum Waschtrog am Haus, wo die Bierkannen kühl'n,uns eins nach dem anderen kalt abzuspül'n.Eng zusammen kauernd, noch immer erschauernd,da hocken wir auf der verwitterten Bank,Gänsehaut auf den Rippen und blauschwarze Lippenvom Baden und von den Brombeeren am Hang.



4. Und lauter und lauter das Stimmengewirr,

das Lachen, das Singen, das Gläsergeklirr;

schon rußen die Lampen, der Tag eilt davon,

und lauter und wilder das Akkordeon.Glänzende Gesichter und flackernde Lichterund noch einen Tanz und ein randvolles Glas,einander umfassen, sich mitreißen lassen,erschöpft niedersinken ins taufeuchte Gras.



5. Jetzt werden die Kinder zu Bette gebracht,

ein letztes Sich-Wehren und dann "Gute Nacht!"

Ich ahn' die Musik im Traum, fröhlich und laut,

und den Duft von Sommer noch auf meiner Haut.Ich seh' Girlanden wehen und Mädchen sich drehen,ich hör das Akkordeon und sehe sieim Reigen sich wiegen, die Röcke, die fliegenzum Klang einer altmodischen Melodie.